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Ida

18.01.2022

Es ist näher unter dem Himmel, der dick und dicht und wolkenverhangen ist.


Video von Henrik Seidel


Eignen wir uns einen Platz an, oder eignet er sich unserer an? Vielleicht kriecht der Platz in uns hinein, spiegelt sich die Seenlandschaft in uns, dringt der Fächerregen uns in die Poren, tragen wir die Erde unter den Nägeln, den Feinstaub in den Lungen. Bis in unsere Gene. Die Landschaft durchzieht uns.


Ich schaue in den Raum, der jetzt zu meinem eigenen wird in Suhl. Zwischen den Bergen aus Granit, Diorit oder Gneis. Mir wird schwindelig beim Hinausblicken aus dem Fenster. Ja, seit Tagen ist es mir sogar leicht übel. Es ist näher unter dem Himmel, der dick und dicht und wolkenverhangen ist.


Mein Arbeitsplatz habe ich an einem alten Multifunktionstisch, zu beiden Seiten ausgezogen wie weitgespannte Arme. Ich stellte ihn so, dass ich das Wohnzimmer beim Arbeiten überblicken kann. Es riecht nach Linoleum. Ich betrachte die Bilder vom Vermieter, die norddeutsche Landschaften zeigen, vielleicht in Hildesheim, vielleicht ist es auch die Lüneburger Heide. Dabei frage ich mich, warum wir stets woanders sein wollen. An meinen Wänden sehe ich Wiesen und Schilfgräser, vor meinem Fenster die Spitzen der Tannen.


Nachts schaue ich auf meinen Monitor nach Fidschi. Gestern sagte Emma vom International Office: „Wait, I`ll share my screen with you, so I can show you my window. It is very warm today.“ Es war vier Uhr Morgens. Ich lebe zwischen Fidschi und Suhl, in Fidschi-Suhl. In den Zoom-Meetings fragt man mich, wie das Wetter sei. Es ist August und die Heizung steht auf drei.

„ Für manche sind meine Berge eine Traumwelt. Für sie bin ich die Bergfrau.”

Dreimal in der Woche habe ich den Kurs LT104: "Islands - Real and imaginary". Als Hausaufgabe sollen wir im Forum beschreiben, was Besonderheiten unserer Insel sind. Ich beschreibe meinen kalten Sommer. Für manche sind meine Berge eine Traumwelt. Für sie bin ich die Bergfrau. Daniel Dafoe lässt Robinson Crusoe schreiben, dass er regelmäßige Gänge zu seinem Ausguck auf dem Berg tut, um über das Meer zu schauen und nach Schiffen Ausschau zu halten.


Die University of the South Pacific. Auf den 12 Inseln: Fiji, Cook-Inseln, Kiribati, Marshall Islands, Nauru, Niue, Samoa, Solomonen, Tokelau, Tonga, Tuvalu, Vanuatu. Früher wusste ich nicht, wo diese Inseln liegen. Ich entdecke sie. Wobei Entdecken ein Wort der Eroberer ist. Ihre Perspektive als Nabel der Welt. Als hätte sich der Ozean erst durch ihre Kenntnis von den Archipelen gefüllt. Doch die Inseln waren in voller Blüte vor ihnen da. Discover: etwas vorhandenes verdecken und unkenntlich machen. Crusoe war ein gestrandeter Eroberer. Unter seinen Sohlen klebte der Weizen, den er auf die Insel schleppte und Freitags Sprache beschrieb er als primitiv. Wie er möchte ich auf keinen Fall sein. Mein Aussichtspunkt ist mein Balkon, und ich blicke in den Himmel über die Wipfel. Meine Nächte schimmern wie das Meer.


„Ich bin Robinsons Schiff und die Insel unter seinen Füßen.”

Die umgedrehte Entdeckungsreise. Ich will nicht gerettet werden, ich möchte ins unbestimmte Land. Robinson Crusoe ist gestrandet. Mein Visum ist verschollen. Ich bin das Schiff, das zur Insel wird, auf dem die Palmen wachsen, die Tiere umherwirren. Aus meiner Vorstellung überwuchert das Eiland die Planken und verwandelt das letzte Stück Holz. Z hat mich darauf vorbereitet der Spiegel dieser neuen Welten zu sein. Das ist das, was von seinen sanften Berührungen übrig ist. Als habe er den Sand am Strand in die Hände genommen, und daraus rinnen lassen. Und augenblicklich Konventionen vergessen und im Vergessen, doch mehr man selbst.


Ich bin das Eiland unter Robinsons Füssen.

Eignen wir uns einen Platz an, oder er sich uns? Die Landschaft durchdringt mich. Ich bin eine Bergfrau, doch könnte ich das Meer sein.


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